Martin U Waltz: Streets Of Berlin

Urbanes Leben zu erfassen und abzubilden – das finde ich spannend.
— Martin U Waltz

In diesem Interview spreche ich mit dem Berliner Fotografen Martin U Waltz über seine Faszination, das urbane Leben abzubilden. Ursprünglich aus Heidelberg, lebt er seit 1984 in der Hauptstadt. Für seine Bilder hat Martin zahlreiche internationale Auszeichnungen erhalten. Seine Leidenschaft gehört der Street Photography: „Was mich antreibt ist, das menschliche Leben auf eine fotografische Art abzubilden. So wie es sich darstellt – in seinen Höhen und Tiefen.“

Streetfotograf Martin U Waltz

Zur Fotografie ist Martin durch seinen Vater gekommen. „Es ging ganz früh los“, erzählt er: „Mein Vater war ein begeisterter Fotoamateur und hat mir früh die Grundlagen von Bildkomposition beigebracht und mir gezeigt, wie man Filme entwickelt. Ich hatte meine eigene Dunkelkammer.“ Heute arbeit Martin zwar auch als editorialer Fotograf für Unternehmen: „Die Street Photography ist aber das Genre, das mich neben der Portraitfotografie am meisten interessiert. Urbanes Leben zu erfassen und abzubilden – das finde ich spannend.“ Die Kamera hat Martin immer dabei. „Wenn ich irgendwo hingehe, achte ich darauf, vorher und nachher etwas Luft zu lassen, um zu fotografieren“, sagt er: „Das ist die Regelmäßigkeit, die ich brauche, um im Training zu bleiben.“

An Berlin schätzt Martin die Vielseitigkeit: „Einerseits gibt es sehr schicke Viertel mit gut sanierten Gebäuden. Andererseits gibt es auch heruntergekommene Ecken. Architektonisch bietet Berlin einen unheimlich abwechslungsreichen Mix. „Menschliches Leben in der Stadt: Das ist oft ja recht skurril, wenn man sich die Zeit nimmt, genauer hinzuschauen. Fotografie ist eine Form, das auszudrücken.“ Ich wohne in Mitte. In meiner Straße gibt es Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, aus der Nazi-Zeit, aus dem Sozialismus und aus der Zeit nach der Wiedervereinigung – alles bunt gemischt. Genau diese Mischung ist es, die Berlin so reizvoll macht. Außerdem ist Berlin eine polyzentrische Stadt, alles verteilt sich. In jedem Viertel gibt es interessante Dinge zum Fotografieren.“ Fotografie ist über die Jahre zu einem elementaren Begleiter in Martins Leben geworden. „Für mich ist es eine künstlerisch-kreative Auseinandersetzung mit dem, was menschliches Leben in der Stadt ausmacht. Das ist oft ja recht skurril, wenn man sich die Zeit nimmt, genauer hinzuschauen. Fotografie ist eine Form, das auszudrücken“, erklärt er, was ihn am Bildermachen fasziniert.

Auszüge aus dem Interview mit Martin U Waltz

Wie wichtig ist dir die Meinung anderer? „Die ist mir schon wichtig. Sonst würde man Bilder nicht öffentlich zugänglich machen. Es gibt aber unterschiedliche Arten der Zustimmung – es ist immer auch eine Frage, wer zustimmt. Die Zustimmung meiner Frau, die überhaupt keine Fotografin ist, ist deswegen spannend, weil sie ein gutes visuelles Gespür für Dinge besitzt. Diese interessierte Laiensicht finde ich sehr spannend. Wenn ich mich zwischen zwei Versionen von Bildern nicht entscheiden kann, hole ich mir auch oft Rat von meinen beiden Söhnen. Die sind 12 und 13 Jahre alt und haben von Fotografie überhaupt keine Ahnung. Aber beide verfügen über eine gute intuitive Wahrnehmung davon, was bei einem Bild funktioniert und was nicht. Und dann gibt es natürlich ein sachverständiges Publikum in der Kunstwelt, andere Fotografen – alle mit ihren ganz eigenen Kriterien. Konzepte in der Bildkomposition, wie zum Beispiel der „Goldene Schnitt“, sind Regeln, die man anwenden kann oder nicht. Wenn man ein Bild danach ausrichtet, wirkt es in der Tat oft harmonischer. Das funktioniert im Großen und Ganzen schon. Genauso spannend ist es jedoch, diese Regeln hin und wieder bewusst zu brechen.“

Wie entwickelt man einen eigenen fotografischen Blick?

„Visuelle Belesenheit ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich glaube, man kann schwer Bilder machen, wenn man nicht weiß, welche Bilder schon in der Welt gemacht worden sind. Sei es in der Fotografie, in der Malerei oder im Bereich Film. Man sollte eine Idee davon haben, was visuell in der Welt passiert. Ich bin immer ein visuell neugieriger Mensch gewesen. Ich gehe gerne in Museen und Galerien. Wenn ich die Werke anderer Künstler betrachte, dann sage ich nicht: Das finde ich gut oder schlecht. Ob ich Rot oder Blau mag, ist nur eine Frage meines Geschmacks. Das ist sehr subjektiv und sagt nichts Qualifiziertes aus. Wenn jemand pauschal sagt, dass ihm meine Bilder nicht gefallen, kann ich damit nichts anfangen. Wenn er sagt, das ist ein Abklatsch von Henri Cartier-Bresson, dann kann ich hingegen sagen: ‚Ok, ich verstehe, was du meinst, lass’ mich darüber kurz nachdenken, ob du Recht hast oder nicht.‘ Ich lasse den ersten Eindruck wirken und kehre dann nach einer Weile noch mal zurück. Dann interessiert mich nicht meine Bewertung, sondern ich analysiere für den Prozess und frage mich:

Wie hat der Künstler das gemacht?

Wie ist die Serie aufgebaut?

Wie ist er mit Farbe umgegangen?

Was ist mit der Komposition?

Das fotografische Motiv kann völlig banal sein – das interessiert mich nicht. Es geht nur um den Prozess dahinter. Ein anderer wichtiger Punkt ist: Man sollte lernen, dass man selbst eigentlich im Normalfall Schwachsinn fotografiert und das ein gutes Bild ein Freak-Event ist. Das passiert mal, ist aber sehr selten. Im Zweifel drücke ich daher die Löschtaste und halte mich nicht mit durchschnittlichen Bildern auf. Ich führe nicht eine halbe Stunde irgendwelche Stunts in Lightroom oder Photoshop auf, um daraus noch irgendwas zu machen – das lohnt sich nicht.“

Wie gehst du vor, wenn du an einen neuen Ort kommst?

„Es ist wichtig, den Vibe eines Ortes aufzunehmen. Es gibt Leute, die landen irgendwo, sind noch im Jetlag – aber fotografieren schon drauf los. Ich kann das nicht. Ich brauche eine gewisse Zeit und muss eine Idee von dem Ort bekommen. Erst wenn ich die bekommen habe, fange ich an zu fotografieren – nicht vorher.“

Was ist der Unterschied zwischen Street Photography und Reisefotografie?

„Beides kann sehr ähnlich sein. Das Interesse eines Straßenfotografen orientiert sich typischerweise am Profanen der Straße. Der Reisefotograf versucht hingegen das Besondere eines Ortes herauszustellen. Ein Reisefotograf würde auf einem Street-Food-Markt zum Beispiel das bunte Essen fotografieren, um zu zeigen: ‚Guck’ mal, was es da alles zu essen gab, was es bei uns nicht gibt.‘ Das würde einen Straßenfotografen jedoch nicht interessieren. Wenn aber zufällig jemand vorbeikommt und etwas in der gleichen Farbe trägt, wie das Essen – dann sagt er: ‚Das ist mein Bild!‘ Unabhängig davon, was gerade auf dem Grill liegt. Und Straßenfotografen grasen in der Regel keine Sehenswürdigkeiten ab. Wenn man als Reisefotograf beispielsweise nach Athen kommt, ist es schwer, kein Bild der Akropolis zu haben. Und sei es aus der Ferne von unten aus der Stadt heraus. Doch irgendwie muss man das gecovert haben. Als Straßenfotograf kann man die Akropolis indes guten Gewissens ignorieren.“

Martin U Waltz

Visuelle Belesenheit ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich glaube, man kann schwer Bilder machen, wenn man nicht weiß, welche Bilder schon in der Welt gemacht worden sind. Sei es in der Fotografie, in der Malerei oder im Bereich Film. Man sollte eine Idee davon haben, was visuell in der Welt passiert. Ich bin immer ein visuell neugieriger Mensch gewesen.
— Martin U Waltz

Mehr über Martin U Waltz erfährst du auf seiner Webseite. Sein Wissen gibt er regelmäßig in Workshops weiter. Es ist auch möglich, Martin als Einzelcoach zu buchen. Gemeinsam mit anderen Fotografen hat er das Street Photography Collective „Berlin1020“ gegründet.

Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, wie du herausragende Street Photos machst, dann lade dir Martins kostenfreies eBook „Die Kunst der Streetfotografie“ herunter. Darin erfährst du u.a.:

  • Wie du den entscheidenden Moment einfängst.

  • Was ein gutes Streetfoto ausmacht.

  • Wie du die Scheu verlierst, fremde Menschen auf der Straße zu fotografieren

  • Und warum Straßenfotografie auch Mut zum Scheitern bedeutet.

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Kai Behrmann

Hallo, ich bin Kai. Fotografie bedeutet für mich erleben. Es geht nicht nur um das Einfrieren eines Moments, sondern darum, ihn zunächst aktiv zu spüren. Und zwar mit allen Sinnen. Erst dann kommt die Kamera ins Spiel.

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