Markus Steiner: "Man lernt wertzuschätzen, was ist – nicht, was sein sollte"

Ein grelles Sujet des Schreckens offenbart sich. Wäre da nicht dieser erstaunlich erhellende Mangel an Masken, würde ich mir den schalen Scherz erlauben: Die Masken fallen.
— Markus Steiner

Markus Steiner ist Autor und Weltreisender. In der Corona-Krise ist er in Portugal gestrandet. Schreib-Quarantäne im Camper mit Blick aufs Meer. In dieser Folge teilt Markus seine Gedanken zur aktuellen Lage und liefert spannende Perspektiven und Denkanstöße, sich mit der Pandemie und ihren Folgen zu beschäftigen.

Protokoll: "Gedanken zu Corona" von Markus Steiner

"Einen zauberhaften Tag, liebe Leute, da draußen. Erst mal das Mikro desinfizieren, damit auch ein blitzsauberer Sound in die Welt raussegelt. Ich bin Markus Steiner und grüße wegen der sogenannten aktuellen Situation aus meinem Home Office in Portugal. Die Welt hat Fieber, habe ich gerade noch in einem flauschigen Podcast gehört, also nichts mehr mit Afrika. Statt zu reisen, bin ich mit meinem Campingbus in Portugal am Meer gestrandet.

Auch in durchschnittlich ausgeprägter Urlaubsstimmung, lässt sich vom Sofa aus erahnen: kleinere Kapriolen und launige Unpässlichkeit lauern draußen im Weltbetrieb. Ich stell jetzt einfach um auf Schreib-Quarantäne. Gut. Zuhause bleiben. Ein neues Buch schreiben. Für mich ist es eine fabelhafte Vorstellung. Tagelanges Alleinsein, wochenlange Isolation. Gewiss – ein verrücktes Experiment. Vor fast zehn Jahren hat mich ein solches Experiment reicher gemacht. In einem Tempel in Thailand lernte ich zu meditieren. Zehn Tage versinken im Schweigen und Meditieren.

"Es geht um Freiheit"

Es war eine verschärfte Versuchsanordnung. Ausgangssperre. Kein Telefon, keine Musik, keine Filme, keine Mails, kein Stift, kein Notizbuch. Nicht sprechen, nicht in die Augen blicken, nicht berühren. Die Welt, mein Leben, meine Sicht haben sich seitdem verändert. Das Meditieren und das Reisen. Sie besitzen Gemeinsames. Das Erforschen des eigenen Denkens. Beides führt zur Einsicht, dass das Leben unbeständig ist und beides begünstigt. Bestehendes loszulassen. Man lernt wertzuschätzen, was ist – nicht was sein sollte. Es geht um Freiheit. Portugal und das Meer nun also.

Betreten verboten, steht auf dem Schild. Es ist still geworden am Strand und einsam. Die Surfer sind auf ihre Skateboards umgestiegen. Und ich sitze vor dem Bus auf meinem Balkon, quasi im Ohr die Wellen. Aufs Meer raus wollen. Am Morgen immer im Atlantik schwimmen. Ich blicke in den überblauen Himmel. Blick aufs atmende Meer. Und doch Welt im Stillstand. Leere Landschaften, menschenleer jedenfalls. Man könnte hier diese Nord-Korea Bilder knipsen. Alles hört auf, steht still. Die Öltanker und Container-Riesen sind am Horizont festgefroren.

"Mehr Seele in der Stadt"

Dem Meer bin ich gleichgültig. Die Wellen pulsieren zuverlässig, im Sekundentakt, in tiefer Ruhe. Oder als kratzende Kralle, wie in Saramagos Gedichten. Immer im eigenen Rhythmus bleiben. Ein alter Mann sagt im portugiesischen Fernsehen, Lissabon sei nun wieder Lissabon ohne die Tuk-Tuks, die Touristen, die Kreuzfahrtschiffe, die Drogendealer und den ganzen Zirkus. Das Animationsprogramm fällt aus. In Zukunft also wieder mehr Seele in der Stadt. Angeklagt diesmal die Freiheit. Um ihre Suspendierung soll es gehen. Wie viel davon wollen wir opfern? Wie viel Sicherheit brauchen wir für ein Leben? Umwerfend lasch argumentiert, heißt es: Alternativen gebe es keine. Alternativen gibt es immer in einer Demokratie. Ein grelles Sujet des Schreckens offenbart sich. Wäre da nicht dieser erstaunlich erhellende Mangel an Masken, würde ich mir den schalen Scherz erlauben: Die Masken fallen. Drohen Spitzeln über deutschen Städten. Die Telekom liefert Telefondaten.

Die Fußfessel, Verzeihung, die Corona-Tracking-App, ist nur noch den One-Click-Download entfernt. Datenschutz freundlich und freiwillig natürlich. Grundrechte werden gegen Gesundheit ausgespielt. Die Kontrolle über unsere Privatsphäre, über Daten, Gesundheit und Körper einkassiert. Seit vier Monaten der tägliche Corona-Eilmeldungs-Ticker. Meldungen über ausreichende Tests, Betten, Beatmungsgeräte, Schutzkleidung und mehr notwendiges Personal waren irgendwie nie dabei. Mit 500 Euro Einmalzahlung repariert man kein ranziges Gesundheitssystemen. Der gegenwärtige ökonomische Suizid, was ist mit dem? Für den gibt es gute Gründe. Der wird Abhängigkeit zementieren, Ungleichheiten vertiefen. Bei all den Verläufen doch wenigstens ein normaler Verlauf, ein "Weiter-nach-Plan" also.

"Inkompetenz, Planlosigkeit und fehlende Orientierung"

Auch das allgemein Menschliche soll nicht zu kurz kommen. Ein Blick nach Italien, wo das Humane in Konvois von Militär-Lastern abtransportiert wird. Oder nach Griechenland an die Grenze zur Türkei. Hier kann man sie bestaunen, die europäische Solidarität und obsolete Menschenrechte. Sagen wir so: Statt Demokratie, Grundgesetz und Grundrechte – Inkompetenz, Planlosigkeit und fehlende Orientierung. Unzulänglich, überstürzt, undemokratisch, verfassungswidrig.

Man weiß nicht, was gefährlicher wirkt: das Virus oder die sogenannten Krisenmanager? Manchmal meint man: So provinziell, so hilflos, so stümperhaft – es müsse sich bei den gerade munter spontan Krisen managenden Katastrophen-Akteuren um Vorsitzende des Spar-Clubs oder Schützenvereins handeln. Der Dauer-Seller Terror, die Banken, der Euro, die Flüchtlinge. Es war dringend Zeit für etwas Frisches, etwas krisenhaftes, das als Katastrophe durchgehen konnte, um den Laden am Laufen zu halten. Was frage ich mich allerdings, wenn mal eine echte Krise aufkracht?"

Markus Steiner

Es war dringend Zeit für etwas Frisches, etwas krisenhaftes, das als Katastrophe durchgehen konnte, um den Laden am Laufen zu halten. Was frage ich mich allerdings, wenn mal eine echte Krise aufkracht?
— Markus Steiner

Mit 37 Jahren kündigt Markus Steiner Job und Wohnung. Er hat genug von der Monotonie des Alltags. Er will sich endlich wieder spüren, die Welt intensiv erleben. Welche Antworten er auf die großen Fragen des Lebens während seiner Weltreise gefunden hat, erzählt er in seinem Buch „Weltherz“.

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Kai Behrmann

Hallo, ich bin Kai. Fotografie bedeutet für mich erleben. Es geht nicht nur um das Einfrieren eines Moments, sondern darum, ihn zunächst aktiv zu spüren. Und zwar mit allen Sinnen. Erst dann kommt die Kamera ins Spiel.

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